Projektklinik

Gedanken und Hilfe zur Führung von Software-Projekten

Über Verantwortung (Teil 1)

Verantwortung sollte ein lange und gut verstandenes Konzept sein. In der Realität treffe ich dennoch immer wieder auf ein grobes Missverständnis des Wesens von Verantwortung, das manchmal an surreale Diskussionen darüber erinnert, ob die Erde rund oder flach ist.

Dabei ist Unklarheit über die Verantwortlichkeiten – wer welche trägt und was das heißt – eine der größten Bremsen für funktionierende Organisationen!

Im beruflichen Kontext heißt Verantwortung zu haben, dass einem die Folgen des eigenen Tuns zugeschrieben werden und Konsequenzen nach sich ziehen.
Übernimmt man Verantwortung, akzeptiert man sowohl die Zuschreibung als auch die Konsequenzen.

Die positiven Folgen beim Erfüllen der Verantwortung können zum Beispiel sein: Lob, Anerkennung, Bewunderung, Beförderung, Gehaltserhöhung, Macht, Einfluss, Privilegien, interessantere Aufgaben, erweiterte Führungsverantwortung.

Auf der anderen Seite stehen beim Scheitern Kritik, Zurechtweisung, Schuldzuweisungen, Rufverlust, Ausgrenzung, Neid, Überforderung, Konkurrenz, Karriere-Stagnation, Degradierung, Verachtung, Positionsverlust, Abmahnung, Entlassung.

Verantwortung ist keine moralische Kategorie wie Schuld. Schuld setzt vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten voraus, Verantwortung lediglich das Annehmen eines Auftrags. Schuld ist grundsätzlich negativ, Verantwortung kann sowohl zu positiven als auch negativen Ergebnissen führen.

Im Folgenden einige Strategien, die gern angewendet werden, um (vermeintlich) Verantwortung zu entgehen.

  1. Ahnungslosigkeit: Ich wusste nicht, dass ich verantwortlich bin!
  2. Gegenseitigkeit: Machst Du mich nicht verantwortlich, mach ich Dich nicht verantwortlich!
  3. Schwarzer Peter: Ich habe die Verantwortung doch delegiert!
  4. Diffusion: Wir sind alle irgendwie verantwortlich – und deshalb ist es irgendwie keiner!
  5. Rückzieher: Ich habe gar nicht gesagt, dass ich das hinbekomme!
  6. Opfer: Die Umstände haben mich gehindert!
  7. Ablenkende Moralisierung: Ich bin gar kein schlechter Mensch! Warum wirfst Du mir das vor?
  8. Mitleid heischen: Ich bin sooooo verantwortlich, ich bin so schlecht, so ein armes Würstchen, ich habe so einen Bockmist gebaut, ich fühle mich so furchtbar wegen meiner Verfehlungen, bitte hab Mitleid mit mir… und (teil-)befreie mich von der Verantwortung.

So als Liste lesen sie sich fast lustig, oder? Schreiben Sie weitere Strategien, denen Sie schon begegnet sind, als Kommentar zu diesem Blog-Beitrag!

Natürlich werden diese Strategien nur angewendet, wenn es darum geht, den Folgen der Verantwortung für ein suboptimales Ergebnis zu entgehen. Lob nimmt jeder strahlend entgegen. Mit Verantwortung ist es ein bisschen wie mit dem Raubtierkapitalismus: Gewinne werden gern privatisiert, Verluste sozialisiert.
Zum Einheimsen von Erfolgen werden übrigens all die oben genannten Strategien umgedreht… Übung: Formulieren Sie die Punkte 1.-8. so, dass sie damit einen Erfolg für sich verbuchen oder verstärken können!

Hier die Grundregeln für Verantwortung, die ich für „ewige Wahrheiten“ halte:

  1. Im direkten Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer (Vorgesetzen/Mitarbeiter, Projektleiter/Team-Mitglied, PO/Scrum-Team) ist Verantwortung unteilbar. Jeder, der einen Auftrag annimmt, ist voll verantwortlich. Nimmt eine Gruppe (wie z.B. ein Scrum-Team) einen Auftrag an, ist jeder im Team gesamtverantwortlich.
  2. Verantwortung wird man nicht durch Delegation los. Reiche ich die Aufgabe oder einen Teil davon an jemand anderen weiter, bin ich meinem Auftraggeber gegenüber immer noch genauso verantwortlich! Ich habe lediglich ein neues Verantwortungsverhältnis gestartet: Das zwischen dem Delegationsempfänger und mir.
    Selbst, wenn ich keinerlei inhaltliche Arbeit mehr selbst mache (wie die meisten Manager) bin ich immer noch für die Auswahl und Führung der operativ arbeitenden Menschen und letztlich für deren Ergebnis verantwortlich.
  3. Wer einen Auftrag annimmt, darf das nur tun, wenn er ihn erfüllen kann und will. Im Zweifel sollte man vorher seinem Auftraggeber die Risiken mitteilen, die man an dem Auftrag sieht. Mit der Annahme des Auftrags wird man verantwortlich. Deshalb sollte am Beginn jeder Verantwortungsübernahme eine Prüfung stehen, ob die Voraussetzungen stimmen.
    Verantwortung kann man auch übernehmen, wenn man zu einem Auftrag „nein“ sagt: Verantwortung für sich selbst!
  4. Wenn sich die Bedingungen nach dem Übernehmen der Verantwortung auf eine Weise ändern, dass der Auftrag nicht mehr innerhalb der vereinbarten Randbedingungen erfüllt werden kann, ist man verpflichtet (und berechtigt!) den Auftraggeber schnellstmöglich darüber zu informieren, ggf. neue Bedingungen für den Auftrag auszuhandeln oder den Auftrag zurückzugeben.

Im Teil 2 zum Thema „Verantwortung“ bald in diesem Blog: Eine Kultur der Verantwortlichkeit entwickeln.

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