Projektklinik

Gedanken und Hilfe zur Führung von Software-Projekten

Binsenweisheiten – It’s simple, but not easy

Viele der Dinge, die in Management-Beratungsartikeln und bestimmt auch in diesem Blog angeprangert oder empfohlen werden, erscheinen trivial.

„Mein Gott, warum muss man dazu einen Artikel schreiben – das weiß heutzutage doch nun wirklich jedes kleine Handwerkerle!“, denken und kommentieren viele der Leser sinngemäß.

Schaut man dagegen in die Realität, werden selbst die grundlegendsten Binsenweisheiten systematisch ignoriert oder kunstvoll begründet, warum sie nun gerade in diesem Fall nicht gelten sollen. Man könnte meinen, die Welt bestünde vor allem aus Ausnahmen, so häufig passiert das.

Das ist natürlich Quatsch.

Die ewigen Wahrheiten des Managements, insbesondere der Projektsteuerung und -führung gelten, wie der Name schon sagt, praktisch immer. Ignoriert werden sie zum Beispiel aus Betriebsblindheit, Selbstüberschätzung, Überforderung, falsch verstandenem Nonkonformismus, Gier, Realitätsverleugnung, Augen-zu-und-durch-Mentalität, Unwissen, Faulheit, Prokrastination oder vermeintlich nicht änderbaren äußeren Umständen.

Ein sehr sprechendes Beispiel: Ich wurde vor fast 10 Jahren zum Projektleiter eines bereits komplett vorbereiteten Großprojekts berufen, in dem ein offenbar rein rechnerisch ermittelter Teamaufbau von 40 Team-Mitgliedern innerhalb von zwei Wochen geplant war. Als ich darauf hinwies, dass so ein Teamaufbau meines Wissens nach eher unrealistisch sei, wurde das einfach „sportlich“ genannt und ansonsten der Einwand ignoriert.

Es kam, wie es kommen musste:

Es gab gar keine 40 verfügbaren Kollegen, und schon gar nicht mit den benötigten Profilen. Erst tröpfelten sie, dann kamen sie in hastig zusammengekratzten Schüben, aber alles gleichzeitig zu langsam (Spezifikateure), zu schnell (Entwickler, Tester) und zu unkoordiniert. Schlüsselpersonen waren noch im Vorprojekt gebunden.

Beim Kunden gab es trotz für rechtzeitig gehaltener Ansage des Bedarfs nicht genug Platz, selbst für die viel langsamer als geplant eintreffende Mannschaft. Zwischenzeitlich musste eine Gruppe hochbezahlter Team-Mitglieder in einem überfüllten Besprechungsraum „arbeiten“.

Die initialen Aufgaben waren gar nicht so weit parallelisierbar, dass sie sinnvoll auf die tatsächlich verfügbaren neuen Team-Mitglieder hätten aufgeteilt werden können. Das halbe Team wartete wochenlang auf ein reifes Fachkonzept (es war noch ein Wasserfall-Projekt), während die Spezifikateure angesichts dieses Drucks brutale Überstunden schoben.

Die in dem Projekt eingesetzten Projektleiter und Teilprojektleiter (inkl. mir zu dem Zeitpunkt!) hatten gar keine Erfahrung mit einem so großem Team und den dafür spezifischen Herausforderungen und benötigten Führungstechniken.

Eskalationen der Probleme wurden von den Vorgesetzten zwar gehört, aber letztlich weitgehend ignoriert, nach Vogel-Strauß-Manier („Es muss einfach gehen!“).

Dieser Effekt zusammen mit einer verblüffenden Flut weiterer, schon in der Projektvorbereitung angelegter und dann im Projektverlauf nicht mehr wirklich in den Grifff zu bekommender Fehler führte dazu, dass das Festpreis-Projekt mehr als doppelt so lang und teuer wurde wie geplant und mein Arbeitgeber erhebliche Rückstellungen bilden musste, um die Verluste auffangen zu können. Nur gut, dass er finanziell ausreichend potent war, viele andere Consulting-Unternehmen hätte ein solches Projektergebnis zerlegt.

Waren die Vorgesetzten inkompetent, unerfahren, dumm? Natürlich nicht – das waren alles kompetente, erfahrene und grundsätzlich kluge Menschen.

Der initiale Fehler, einen so krassen, nicht mit personellen, räumlichen und planerischen Ressourcen abgesicherten Teamaufbau zur Prämisse des Projekts zu machen, wurde nach meiner Einschätzung primär aus zwei Gründen gemacht:
Aus der Akquisitions-Eigendynamik heraus und aus Gier (sorry für das harte Wort) nach dem zweistelligen Projektbudget und der Beauftragungskontinuität beim Kunden.

Hinzu kam: Gerade aufgrund des Eindrucks, dass die Verantwortlichen kompetent, erfahren und klug sind, wurde die Machbarkeit nie ausreichend von den Ausführenden infrage gestellt („sie werden schon wissen, was sie tun, und letztlich tragen ja sie die Verantwortung“).

Ähnliche reale Beispiele für das Ignorieren von „Ewigen Wahrheiten“, das zu negativen, manchmal verheerenden Folgen führte, kann ich und können Sie sicher noch Dutzende geben.

Was wäre passiert, wenn die Ewige Wahrheit, die Binsenweisheit über eine realistische Teamaufbaugeschwindigkeit und die notwendige planerische Detaillierung der benötigten Profile und ihrer Einsatzzeitpunkte berücksichtigt worden wäre?

Die Projekt-Akquisiteure (keine geringeren als ein Geschäftsbereichsleiter und ein Vorstand!) hätten innehalten und Zeit für eine haltbare Neuplanung geben müssen, und den Kunden darüber informieren, dass und wie sich das Projekt dadurch verändert.

Hätte das zu einem Verlust des Projekts geführt? Vielleicht. Vielleicht aber auch einfach nur zu einem erfolgreichen, lukrativen Projekt.

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